Jedem Mitglied dies illustren Personenkreises der Nobelpreisträger sichert der Auftritt in einer Universität von vornherein eine beträchtliche Aufmerksamkeit und eine große Zuhörerschaft. So war zunächst einmal ein Umzug in einen größeren Hörsaal nötig, um die Schar der Neugierigen zu fassen, als gegen Ende des Sommersemesters der Nobelpreisträger für Chemie des Jahres 1988, Professor Dr. Johann Deisenhofer, zu einem Gastvortrag nach Konstanz kam. Von den einladenden Fakultäten für Biologie und Physik übernahm es Professor Dr. Klaus Dransfeld den erst 45 Jahre alten Physiker vorzustellen, der seit 1988 an der Universität Texas in Dallas arbeitet. Gleich zu Beginn präsentierte Deisenhofer dann der Universität Konstanz sozusagen einen Nobelpreisträgervater, indem er verriet, dass er seine Diplomarbeit am Institut seines Vorredners in München gemacht habe und dass dessen Neigung zur Biophysik auch seinen weiteren Werdegang stark beeinflusst habe. Eingehend gab der Gast seiner Freude darüber Ausdruck, dass er nach dem 'Publicity-Rummel' der Lindauer Nobelpreisträgertagung, an der er gerade teilgenommen hatte, jetzt einen richtigen wissenschaftlichen Vortrag halten könne. Danach folgte, wie angekündigt, auf gehobenem Niveau, sein Vortrag 'Struktur und Funktion eines biologischen Lichtenergie-Wandlers'.
Biologische Lichtenergiewandler kennen wir alle vom Sehen, und zwar gleich in wörtlichem und übertragenem Sinn: Unsere Augen benützen einen solchen, um einfallendes Licht nachzuweisen, und wir sehen im Blattgrün der Pflanzen deren Lichtenergiewandler, der ihnen die Photosynthese erlaubt. Diesen Photosyntheseapparat zu verstehen, daran arbeitete die Chemie-Nobelpreisträger-Troika von 1988 seit Ende der siebziger Jahre unter der Leitung von Professor Robert Huber am Max-Planck-Institut für Biochemie in Martinsried. Um sich die Arbeit so einfach wie möglich zu machen, wählte man als Untersuchungsobjekt nicht den Photosyntheseapparat einer höheren Pflanze, sondern den des Purpurbakteriums Rhodopseudomonas viridis. Das 'einfach' ist allerdings relativ zu verstehen, denn, wie sich herausstellte, besitzt das Molekül eine Masse von 145 000 Dalton (ein Dalton entspricht ungefähr der Masse eines Wasserstoffatoms) und enthält über zehntausend Nicht-Wasserstoffatome.
Wie der Titel des Vortrags schon andeutete, ist die Vorbedingung zum Verständnis der Funktionsweise eines solchen Riesenmoleküls die Kenntnis seiner Struktur. Üblicherweise benützt man Röntgenbeugungsverfahren, um diese zu entschlüsseln. Dazu kann man aber nicht das einzelne Makromolekül benutzen, sondern muss durch biochemische Verfahren eine große Zahl von ihnen aus der Bakteriensuppe abtrennen und einen Molekülkristall daraus wachsen lassen. Deisenhofers Kollegen Hartmut Michel gelang es, das dazu nötige Verfahren zu entwickeln und als erster hinreichend große Kristalle zu produzieren. Dafür wurde ihm ein Drittel des Nobelpreises zuerkannt. Die durch Michels Verfahren möglich gewordene Strukturanalyse war dann die Aufgabe des Deisenhofers gewesen.
Der Nobelpreisträger Prof. Deisenhofer ging jedoch in seinem Vortrag nicht auf die Schwierigkeiten ein, die es macht, eine Beugungsaufnahme mit knapp einhunderttausend signifikanten Reflexen zu analysieren, sondern kam rasch zu seinen Ergebnissen.
Mit Hilfe einer Großrechenanlage hatte man bis 1984 aus den Röntgenbeugungsaufnahmen ein Bild der Elektronendichteverteilung des Moleküls mit einer Auflösung von 3 Ångström erreicht. (1 Ångström ist ein zehnmillionstel Millimeter und ein typischer Wert für einen Atomdurchmesser). Zu diesem, im atomaren Maßstab noch unscharfen, 'Photo' des Moleküls musste nun ein passendes Modell gefunden werden. Dieses Modell, das in seiner neuesten Version während des ganzen Vortrags projiziert wurde, war die Krönung jahrelanger Bemühungen und Grundlage der funktionellen Interpretation des Moleküls.
Das Molekül hat eine gewisse äußere Ähnlichkeit mit einer Zündkerze, es ist etwa 130 Å lang und hat an seiner dicksten Stelle einen Durchmesser von etwa 70 Å. Man teilt es in vier Untereinheiten, von denen je eine in den Innen- bzw. Außenraum ragt, während die mittleren zwei in der Chloroplastenmembran verankert sind. Durch den Einbau von überwiegend positiv bzw. negativ aufgeladenen Aminosäuren in den vorstehend genannten Untereinheiten wird von selbst für die richtige Orientierung in der Membran gesorgt, während im Inneren des Moleküls eine völlig ladungsfreie Zone existiert.
Der Komplex selbst arbeitet letztendlich wie eine Kombination aus einem Flipper und einer Kugelbahn. So wie beim Flipper das Loslassen der Einschussfeder die Kugel schnell wegschleudert, bewirkt die Energie des einfallenden Lichtquants im Herzen des Riesenmoleküls, dem sogenannten Magic Pair, die Freisetzung eines Elektrons, das sich sehr rasch (in knapp 3 billiardstel Sekunden) entfernt. Die Kugel / das Elektron läuft dann langsamer über mehrere Zwischenstationen weiter, aber nicht zum Ausgangspunkt zurück, sondern in das Vorratsgefäß einer Kugelbahn. Da die verschossenen Elektronen aus der Spaltung von Wasserstoffatomen in Protonen H+ und Elektronen e- stammen, entspricht das Vorratsgefäß der Kugelmühle dem Aufbau eines Konzentrationsgefälles an H+ zwischen Innen- und Außenraum der Chloroplastenmembran. Beim Zurücklaufen der Kugeln/Elektronen entlang des Gefälles wird die eingespeiste Energie der Felder/des Photons wieder frei und in der Natur zum Aufbau des universellen Energieträgers Adenosintriphoshat verwendet. Dieser zweite Schritt findet jedoch außerhalb des Chlorophyllmoleküls statt.
Im Unterschied zum Flipper ist die Bahn des Elektrons festgelegt. Alle anderen Wege bzw. Konkurrenzreaktionen sind um mehr als zwei Größenordnungen unwahrscheinlicher. Außerdem ist die Reaktion sehr stabil, denn sie läuft auch noch bei lebensfeindlichen -272°C ab.
Trotzdem gibt es weitere Gemeinsamkeiten mit dem Flipper und gerade sie liefern noch offene Fragen: Wie er ist auch das Bakterienchlorophyll nahezu symmetrisch. Es gibt eine Spiegelebene im Molekül, an der man die eine Hälfte nahezu perfekt auf die andere spiegeln kann. Trotzdem läuft das Elektron immer nur auf einer Seite. Zum anderen gibt es sehr auffällige Strukturelemente im Molekül, die nicht direkt am Elektronentransport beteiligt sind und über deren Bedeutung noch diskutiert wird. Mit dieser Liste von offenen Problemen, die zugleich auch sein Arbeitsprogramm in Texas darstellen werden, endete Professor Deisenhofers Vortrag, an den sich noch eine kurze Diskussion mit den Kollegen aus der Biologie anschloss.